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Demenz – kann man das essen?


Aufklärung und Respekt sind die Säulen einer menschlichen Behandlung.

Varel 26-09-2014 | Man sagt: "Spinnen sind derart häufig, dass im Umkreis eines Menschen alle 70 cm mindestens eine Spinne zu finden ist."

Von der Spinne zum "Spinnen" ist es nur ein kleiner Schritt. Zwischen "Spinnen" und einer Demenz allerdings stehen Welten.
 
Besuchen Sie ein Rockkonzert oder eine große Comedyveranstaltung. Beachten Sie: mindestens die Hälfte der Personen im Saal oder im Stadion wird dement.

Es wird also deutlich. An der Demenz können wir nicht vorbei sehen. Sie zu ignorieren wäre katastrophal.

Für uns, als Krankenhauspersonal bedeutet dies eine erhebliche Umstellung und eine Anpassung unseres Umgangs mit Patienten.

Das gilt genauso für Mitarbeiter in Altenheimen und auch für pflegende Angehörige.

Die Versorgung eines dementen Menschen spielt sich nicht auf rationaler Ebene ab.

Der Anteil der Emotionalität ist extrem ausgeprägt.

Die "Zehn Bitten der Patienten" aus dem Buch "Alt, krank und verwirrt" weisen eine weitaus größere Verantwortung auf. Demente Menschen haben teilweise ihre eigene Sprache und leben in ihrer eigenen Welt. Wir können nicht erwarten, dass sich diese Menschen uns oder den wirtschaftlichen und ökonomischen Bedingungen anpassen.

Nein! WIR müssen ihre Sprache lernen. WIR müssen uns auf diese Menschen einlassen. WIR müssen lernen diese Menschen zu verstehen.

Das primäre Ziel ist nicht immer sofort die tatsächliche Behandlung der jeweiligen Symptome sondern oftmals erst die Herstellung einer Therapiefähigkeit.

Dies bedeutet einen erheblichen Mehraufwand, ausgeprägte empathische Fähigkeiten und ausgeprägte Kommunikationsbereitschaft.

Um einem dementen Menschen gerecht werden zu können muss man ihn kennen lernen.

Man muss seine Biografie erarbeiten, seine Gewohnheiten und Reserven herausfinden und ggf. auch ein individuelles Wörterbuch anlegen damit auch andere "seine Sprache sprechen".

Dann kann man vermeiden ihm seine Defizite vor Augen zu führen und ihm damit einen Affront zu bieten. So kann Aggressivität vermieden werden und letztendlich erreicht man mehr Harmonie und macht ein Zusammenleben mit dem Patienten erst wieder möglich.

Man muss also den Umgang lernen und man muss erkennen, dass es kein "Allheilmittel" gibt.

Jeder Mensch reagiert anders – Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse und Ressourcen.

Die Pflege eines dementen Menschen ist eine derart breitgefächerte und diffizile Aufgabe, dass sie neben "Herzblut" auch ein breites und intensives Fachwissen erfordert.

Es liegt auf der Hand, dass die Pflege betroffener Menschen in den Händen von nicht motivierten und zur Altenpflegetätigkeit gedrängten Mitbürgern nicht gut aufgehoben ist.

Von entsprechenden, unter Zwängen stehenden Mitbürgern darf Niemand erwarten, dass sie die Problematik der Demenz verinnerlichen und entsprechend der tatsächlichen Anforderungen "pflegen". Nicht jeder ist für diese Aufgabe geboren. Damit kann man diesen Menschen keinen Vorwurf machen.

Bei allem Verständnis für die Kostenentlastung des Gesundheitssystems, des Sozialsystems und diesem sicher wohlgemeinten Vorhaben, nämlich brachliegende Ressourcen kostengünstig zur Verwendung zu bringen.

Niemand möchte einem demotivierten und nicht ausreichend ausgebildeten "Pfleger" als Demenzkranker ausgeliefert sein.

Was ein dementer Mensch an Menschlichkeit verliert, das müssen WIR hinzugewinnen.

Nur so kann dieser Mensch in Würde weiter leben.

Bild: GRUPPO|635 - hufenbach
Peter Plettenberg
Facharzt für Geriatrie | St. Johannes Hospital | Varel